Die im aargauischen Birr wohnhafte, kürzlich 29 Jahre jung gewordene Amra Sadikovic wurde in Prilep, Mazedonien geboren und spielt seit 2007 für die Schweiz. 2009 kam sie erstmals im Fed-Cup zum Einsatz. 2014 gab sie ihren Rücktritt vom Profisport bekannt, doch gut ein Jahr später wagte sie ein Comeback. 2016 qualifizierte sie sich in Wimbledon erstmals für das Hauptfeld eines Grand-Slam-Turniers – die Belohnung: 1. Runde auf dem Center-Court und dies ausgerechnet gegen Serena Williams! Mit Position 126 in der Weltrangliste erreichte sie im Juli 2016 ihr bisher bestes Einzel-Ranking. Ende Mai 2018 auf Position 380 geführt, möchte sie wieder in jene Regionen vorstossen. Tennismentaltraining.ch (TMT): In welchem Alter hast Du mit Tennis begonnen und welche Gründe gab es, weshalb die Wahl ausgerechnet auf Tennis fiel? Amra Sadikovic (AS): Ich habe mit neun Jahren mit dem Tennis begonnen. Ich habe ein Match von Andre Agassi und Pete Sampras geschaut und das hat mich fasziniert, Ich wollte das unbedingt mal ausprobieren. Das tat ich auch und so nahm alles seinen Lauf ... TMT: Wann hast Du Dich entschieden Tennis professionell auszuüben? War es ein Prozess aufgrund der sportlichen Erfolge oder hattest Du diesen Traum bereits sehr früh? AS: Wenn ich jetzt zurückdenke, dann wusste ich schon sehr früh, dass ich das Hobby zum Beruf machen möchte. Wenn Schulfreunde sich in der Freizeit mit Kollegen trafen, war ich praktisch immer auf der Tennisanlage. Ich suchte mir jemanden zum Spielen oder spielte gegen die Wand. Tennis war schon sehr früh mein Leben und blieb es bis heute! Mit 16 Jahren schloss ich die Bezirksschule in Windisch (AG) ab und dann mussten wir entscheiden, wie es weiter geht. Für mich war zu 100% klar: Ich will Tennis spielen und wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich auch "nur" Tennis gespielt. Meine Eltern jedoch bestanden darauf, dass ich vorsichtshalber eine Lehre mache und danach dürfte ich voll aufs Tennis setzten. So absolvierte ich zuerst die 4-jährige Lehre als Berufssportlerin in Zürich (16-20 Jahre) und widmete mich dann komplett dem Tennis. TMT: Wie hat Dein Umfeld auf Deinen Wunsch bzw. Deine Entscheidung Profi zu werden reagiert? AS: Ich denke mein Wunsch Profi zu werden hat niemanden überrascht. Ich habe eine super Familie, die immer zu 100% hinter mir stand. Noch dazu muss ich wirklich sagen, dass mein langjähriger Förderer und Trainer Freddy Siegenthaler sehr, sehr viel dazu beigetragen hat, dass ich diesen Weg eingeschlagen habe. Er hat mir das Tennis beigebracht, mir den Spass vermittelt und mich auf extrem positive Weise (auch wenn das in diesem Alter gar nicht so einfach war mit mir ;-)) gepusht. Dafür bin ich ihm bis heute noch sehr dankbar! TMT: Wie sieht ein typischer Trainingstag bei Dir aus? AS: Ich trainiere 4-5h täglich. Davon 2x Tennis und 1x Kondi. Je nach Trainingsphase (Aufbau) kann dies auch genau umgekehrt sein, so dass das Konditraining im Vordergrund steht. Zusätzlich kommt das Ein- und Auslaufen dazu. TMT: Tennis gilt als eine mental äusserst anspruchsvolle Sportart. Was ist für Dich persönlich die grösste mentale Herausforderung im Tennis? AS: Das ist definitv so! Ich wage sogar zu behaupten, dass der Kopf im Wettkampf zu 80% entscheidend ist. Klar, ich gehe davon aus, dass das Fitnesslevel stimmt. Denn das ist die Voraussetzung, um überhaupt mal oben mitspielen/mithalten zu können. Aber alles andere spielt sich im Kopf ab. TMT: Welche Bedeutung kommt dem mentalen Bereich zu, wenn Du ihn mit dem technisch/koordinativen, dem physischen und dem taktischen Bereich vergleichst? Bild: Eine ihrer grossen Stärken: Amra beim Aufschlag AS: Ich persönlich finde, dass diese 3 Bereiche einen Dominoeffekt ergeben. Ich versuche es mal zu erklären: Der Ablauf für mich ist ganz klar: 1. Technik, 2. Physis und 3. Taktik.
Schon sehr früh wurde bei mir auf die Technik und Koordination viel Wert gelegt (wie bereits erwähnt, hatte ich das Glück mit Freddy arbeiten zu dürfen, denn wenn einer dies im Griff hatte, dann er). Denn spielst Du technisch sauber und bewegst Dich ökonomisch, brauchst Du weniger Kraft (hier kommen wir zur Physis) und dies kann in einem hartumkämpften Match entscheidend sein. Nach der Technik wurde bei mir sehr viel im Kondibereich gearbeitet. Denn eine gute Physis ist die Voraussetzung für ein klares Denken (Taktik) im Spiel. Bist Du nicht fit, hast Du absolut keine Chance Dich mit der Taktik vor allem im Match auseinander zu setzen. Der Fokus ist dann bei Dir selbst und Deiner "Müdigkeit". Bist Du physisch ready, bringt man Dich weniger schnell aus der Ruhe. Du bist fähig einen kühlen Kopf zu bewahren und richtig zu entscheiden/handeln. So richtig fit fühlte ich mich erst nach meinem Comeback und ich selbst durfte/konnte an mir erleben, wie extrem positiv sich dies auf meinen Geist und mein Selbstvertrauen ausgewirkt hat! Kurz: Egal welche Komponenten man betrachtet: Alle sind miteinander verbunden und überall, so finde ich, spielt der Kopf eine grosse Rolle. TMT: Du arbeitest mit einem Mental-Coach zusammen. Seit wann gibt es diese Zusammenarbeit? Wie war es während Deiner Jugendzeit? Wurden da mentale Themen und Trainingsformen bereits angesprochen und integriert oder kam dies erst später hinzu? AS: Ich muss sagen, dass Freddy schon sehr früh versucht hat, auch im mentalen Bereich mit uns Junioren zu arbeiten. Also viele Begriffe und Techniken durfte ich schon im frühen Alter kennenlernen. Jedoch muss ich ehrlich sagen: Richtig zu verstehen begonnen habe ich vieles erst später. Genauer genommen ERST bei meinem Comeback mit 26 Jahren! Dort habe ich auch die Zusammenarbeit mit meinem Mentor Ernst Maurer begonnen und wir arbeiten auch heute noch zusammen. Ich bin froh diesen Menschen kennengelernt zu haben und manchmal wünschte ich mir sogar, ihn schon viel früher getroffen zu haben. Er hat mir extrem geholfen, mich zu öffnen und mein Leben ganz anders zu betrachten. Ich bin ihm sehr dankbar! TMT: Gibt es in mentaler Hinsicht auf der Profi-Tour so etwas wie ein Vorbild für Dich? Jemand, der Dich inspiriert? AS: Ganz klar Roger Federer. Auf wie neben dem Platz! TMT: Als Du 2015 auf die Tour zurückgekehrt bist: Hat sich die Herangehensweise bei Dir irgendwie verändert gegenüber Deiner „ersten Karriere“? AS: Ganz klar und ich bin davon überzeugt, dass dies der Grund war, weshalb ich so schnell Erfolg hatte. Das Tennisspielen oder die Fitness war bei mir nie das "Problem". Ohne extrem ins Detail gehen zu wollen: Ich habe gelernt, dass es mein Tennisleben und mein Privatleben gibt und dass meine Leistungen nicht entscheidend sind, ob ich ein "guter" oder "schlechter Mensch" bin! In meiner ersten Karriere war dies genau umgekehrt. Ich machte mir einen extremen Druck. Hatte zu hohe Erwartungen, in meinem Kopf drehte es sich nur um Zahlen und Rankings - der Fokus war total falsch! Dies änderte sich bei meinem Comeback gewaltig! Mir gelang es durch die Hilfe von Ernst mich wirklich auf die Dinge zu konzentrieren, die ich beeinflussen kann. Auch setzte ich viel mehr auf Qualität statt Quantität. Auf und neben dem Platz! TMT: Was waren Deine Gedanken als Du nach überstandener Quali erfahren hast, dass Du in Runde 1 auf dem legendären Center-Court gegen Serena Williams spielen wirst? AS: Ich hatte gemischte Gefühle. Als allererstes dachte ich: MEIN TRAUM WIRD WAHR! Ich habe mich IMMER gefragt wie toll es wäre, auf dem heiligen Rasen auf dem Center Court zu stehen (ich habe soeben wieder Gänsehaut!). Und plötzlich ist der Moment da... Ich freute mich extrem und ich stellte mir sogar vor, wie sich das Ganze abspielen würde. Ich war sehr motiviert und voller Vorfreude - bis am Abend vor dem Spiel. Ich konnte nicht einschlafen, lag wach im Bett und eine Angst packte mich. Packe ich das? Was, wenn ich nicht abliefere und die "ganze Welt" schaut zu? So war es eine Berg- und Talfahrt der Emotionen. Ich führte verschiedenste Gespräche mit Ernst. Schlussendlich war ich nervös, die Angst jedoch konnte ich komplett ablegen! TMT: Wie hast Du die Minuten vor dem Einmarsch in Erinnerung und den Beginn der Partie? War die ganze Umgebung und die prominente Gegnerin für Dich eher beflügelnd oder lähmend? AS: Als ich da den Gang runter lief, verschwand ich in meiner Welt. Es ist wirklich krass und schwer zu beschreiben. Es war ruhig, ich stand da und wartete bis mein Name aufgerufen wurde. Dann viel mein Name. Ich lief auf den Platz und sah die Menschenmenge. Viele standen auf und klatschten, aber: Ich habe irgendwie gar nichts gehört, es fühlte sich an als wäre ich in einem Tunnel. Ich war mega nervös und meine Knie waren weich! Zudem machte es Serena mir auch nicht einfacher ;-). Sie hat mich vor dem Einlaufen auf dem Platz nicht einmal angeschaut, einfach nichts! Ich war wie in Trance! Genau das ist das richtige Wort .. unbeschreiblich, aber soooooo mega schön! TMT: In seiner Biographie „Rafa: Mein Weg an die Spitze“ schildert Rafael Nadal sehr eindrücklich, wie er sich jeweils auf eine Partie vorbereitet und einstimmt. Wie sieht das bei Dir aus? Hast Du auch einen bestimmten Ablauf im Sinne einer mentalen Wettkampfvorbereitung? Falls ja, welche Hauptziele möchtest Du dadurch erreichen? AS: Ich habe ganz klar auch meine Rituale vor dem Match und diese ziehe ich auch durch. Ich bin grundsätzlich ein aufgestellter, lustiger Mensch, sehr kommunikativ und dadurch verschwende ich auch viel Energie ;-). Ich versuche da vor der Partie wirklich in mich zu kehren und meide den Kontakt zu anderen. TMT: Hast Du für das laufende und das nächste Jahr bestimmte Tennis-Ziele fixiert? AS: Ich möchte ganz klar wieder die Main Draws der Grandslams spielen können! TMT: Häufig hört man, dass Leistungssport eine hervorragende Lebensschule sei. Würdest Du dem zustimmen? Falls ja, welches sind die wichtigsten Dinge, welche Du für Dein Leben ausserhalb des Tennisplatzes lernen konntest? AS: Das ist so! Für mich sticht ganz klar heraus: Umfallen ist und wird immer ein Teil des Lebens sein. Rückschläge gibt es immer, ABER: Glaube an das, was DU willst und wovon DU überzeugt bist und stehe einfach immer EINMAL mehr auf. Denn du weisst nie, was das einmal mehr Aufstehen für positive Folgen haben kann!!! Ganz herzlichen Dank, Amra, dass Du Dir für dieses Interview Zeit genommen hast, für die spannenden Einblicke und viel Spass und Erfolg auf dem Weg zur Erreichung Deiner Ziele! Comments are closed.
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