Erstmals seit 1998 und zum zweiten Mal überhaupt steht das Schweizer Fed-Cup-Team im Halbfinale des Wettbewerbs, nachdem es sich in den letzten Jahren aus den Niederungen hochgespielt hat und im letzten Jahr den Aufstieg in die Weltgruppe 1 der achtbesten Tennisnationen geschafft hat. Mit Tschechien steht das dominierende Team der letzten Jahre gegenüber, mit vier Titelgewinnen in den letzten fünf Jahren. Petra Kvitova und Lucie Safarova waren für diese Titel hauptverantwortlich, doch beide haben für das Halbfinale vom 16./17. April in der Luzerner Messehalle abgesagt, da schwierige Monate hinter ihnen liegen und beide ihrer Form hinterher hinken. Doch auch im Schweizer Team gibt es eine kurzfristige Hiobsbotschaft. Knapp eine Woche vor dem Anlass sagt Belinda Bencic aufgrund einer Rückenverletzung ab. Timea Bacsinszky wird so zur Teamleaderin und ist mit Position 17 im aktuellen Ranking, die am besten klassierte Spielerin in den beiden Aufgeboten. Nachdem Bacsinszky aufgrund einer Knieverletzung mit Trainingsrückstand in die Saison gestartet war, zeigte sie sich zuletzt in sehr guter Form. In Miami erreichte sie das Halbfinale mit Erfolgen über die Weltklassespielerinnen Agnieszka Radwanska und Simona Halep. Auf ihr ruhten in erster Linie die Schweizer Hoffnungen... 1. Einzel: Timea Bacsinszky (WTA 17) vs. Barbora Strycova (WTA 33) 0:6 / 2:6
Bacsinszky geht als Favoritin in die Partie, auch wenn mit Strycova mit ihrem cleveren, variantenreichen Tennis, eine äusserst unangenehme Gegnerin wartet. Doch was folgt, hätten wohl die kühnsten Pessimisten nicht erwartet. Timea wirkt von allem Anfang an völlig blockiert, verkrampft und hypernervös. So gut wie nichts gelingt - selbst mit ihrem Paradeschlag, der beidhändigen Rückhand, patzt sie ein ums andere Mal. Den Aufschlag spielt sie nur rein, ohne jegliches Tempo. Auch Heinz Günthardt auf der Bank findet keinen Weg, um seine Spielerin von diesem Druck, der auf ihr zu Lasten scheint, befreien zu können. Strycova auf der andern Seite spielt richtig gut, doch allzu viel muss sie gar nicht unternehmen. Es ist aus Sicht des Schweizer Teams ein totales Debakel. Mit 0:6 und 2:6 verlässt Bacsinszky mit hängendem Kopf das Stadion und sagt später unter Tränen, dass sie sich zu sehr unter Druck gesetzt hätte, es zu gut machen wollte. Was sie heute erlebt habe, sei der schwärzeste Tag ihrer gesamten Karriere. Interview mit einer tief enttäuschten Timea Bacsinszky Klar waren die Erwartungen von aussen ziemlich hoch, doch Timea Bacsinszky ist an ihrer eigenen Erwartungshaltung zerbrochen. Sehr überraschend, da sie im letzten Jahr bewiesen hatte, dass sie auf den grössten "Tennisbühnen" bestehen und ihr bestes Tennis abrufen kann. Doch an diesem 16. April vor heimischem Publikum, das sie bis zuletzt frenetisch unterstützte, erlitt Timea ein für nicht möglich gehaltenes Debakel. Der vermeintliche Heimvorteil wurde zur grossen Belastung. 2. Einzel: Viktorija Golubic (WTA 129) vs. Karolina Pliskova (WTA 18) 3:6 / 6:4 / 6:4 Aufgrund der kurzfristigen Absage von Belinda Bencic, kommt Viktorija Golubic zu ihrem Einzel-Debut innerhalb des Fed-Cups. Die 23-jährige Zürcherin hat sich zu Beginn des Jahres erstmals für das Haupttableau eines GS-Turniers qualifiziert und hat zuletzt grosse Fortschritte erzielt. Doch im Spiel gegen Karolina Pliskova, welche letztes Jahr bereits Top 10-Spielerin war, ist sie klare Aussenseiterin. Pliskova ist eine der besten Aufschlägerinnen auf der Tour und verfügt über wuchtige Grundschläge, sie hat aber auch ihre Schwächen, insbesondere was die Beweglichkeit und ihr Defensivspiel betrifft. Golubic auf der andern Seite verfügt über ein sehr breites Schlagrepertoire und ein sehr gutes Allround-Spiel. Im Vorfeld der Partie hat Heinz Günthardt erwähnt, dass er Golubic vieles zutraue. Ihr Problem sei in den letzten Jahren gewesen, dass sie zu wenig an sich geglaubt habe und gar nicht wisse, wie gut sie spielen könne. Seit drei Jahren versuche er sie davon zu überzeugen... Pliskova beginnt stark und dominiert insbesondere mit ihrem Aufschlag. Doch schon früh gewinnt man den Eindruck, dass Golubic mindestens ebenbürtig ist, wenn der Ball einmal im Spiel ist. Sie wirkt gelöst und entschlossen, kommt immer besser in die Partie. Beim Stande von 3:6 und 2:4 sieht es zwar nach der erwarteten Niederlage aus, doch der Auftritt von ihr ist überzeugend, das Publikum steht wie eine Wand hinter ihr. Und plötzlich lässt Pliskova nach, bewegt sich zusehends schlechter, Golubic drückt der Partie mehr und mehr ihren Stempel auf. Nach 2'16 h ist es dann so weit - unter tosendem Applaus verwandelt Golubic ihren ersten Matchball und schafft den Ausgleich. Eine überglückliche Viktorija Golubic bedankt sich nach der Partie beim Publikum, das sie getragen hätte und bei ihren Mannschaftskolleginnen für die grosse Unterstützung und den tollem Teamgeist, der untereinander herrscht. Interview mit einer überglücklichen Viktorija Golubic 3. Einzel: Timea Bacsinszky (WTA 17) vs. Karolina Pliskova (WTA 18) 4:6 / 2:6 Wiederum ist es Timea Bacsinszky, welche für das CH-Team den Anfang machen wird. Es stellt sich die grosse Frage, wie sie sich von den gestrigen Ereignissen erholt hat und ob sie die Nervosität ablegen und befreiter aufspielen kann. Doch auch Karolina Pliskova hat von gestern einiges zu verdauen, rechnete man doch auf tschechischer Seite sicherlich mit einem Punktgewinn durch sie. Bacsinszky startet deutlich besser als gestern. Ihr Auftreten ist anders, sie wirkt fokussiert und ruhiger. Der erste Satz ist sehr umkämpft mit dem Unterschied, dass Pliskova ihre einzige Breakchance gleich nutzt, Bacsinszky ihre drei Breakchancen verstreichen lässt. Aufschlag und Rückhand funktionieren aber wesentlich besser als gestern, die Vorhand bleibt jedoch wackelig. Auffallend aber auch, dass Timea praktisch keine Emotionen zeigt. Wurde sie gestern von ihren Emotionoen überwältigt, scheint sie sich heute von allem distanzieren zu wollen und wie eine Mauer um sich zu bauen - eine verständliche Reaktion nach der bitteren Erfahrung vom Vortag. Aber es wirkt zu unterkühlt, in sich gekehrt und entspricht so gar nicht ihrem Naturell. Keine Reaktion nach gelungenen Spielzügen - das von ihr sonst oft zu hörende "allez" bleibt über fast die gesamte Spielzeit aus. Erst als sie im zweiten Satz mit 0:4 fast aussichtslos zurückliegt, wird sie von der Körpersprache her und verbal offensiver. Jetzt ist der Kampfgeist zu sehen, doch es ist zu spät. Pliskova hält ihr Niveau und lässt bei eigenem Aufschlag nichts mehr anbrennen. 4. Einzel: Viktorija Golubic (WTA 129) vs. Barbora Strycova (WTA 33) 3:6 / 7:6 (8:6) / 6:1 Der Titelverteidiger aus Tschechien ist wieder auf der Siegerstrasse und braucht noch einen Punktgewinn zum abermaligen Finaleinzug. Beide Spielerinnen haben gestern vollauf überzeugt. Bei Golubic stellt sich die Frage, ob sie die Euphorie mitnehmen kann und nochmals zu einer ähnlichen Leistung fähig sein wird. Die Partie wird zum sportlichen und stimmungsmässigen Highlight des Wochenendes. Beide zeigen variantenreiches Tennis, Barbora Strycova brilliert am Netz mit hervorragenden Volleys. Verdient gewinnt sie den ersten Satz. Zu Beginn des zweiten Satzes ist das Niveau herausragend, ein Ballwechsel attraktiver als der andere. Der 2. Satz wird schliesslich zum Krimi und geht im Tie-Break mit 8:6 an die Schweizerin. Dann ist sie nicht mehr zu stoppen, währenddem Strycova den Strapazen Tribut zollt und körperlich abbaut. Was für eine Leistung von Viktorija Golubic!!! Beim anschliessenden Platzinterview bedankt sie sich erneut beim Publikum für die atemberaubende Stimmung und sagt, dass sie ohne diese Unterstützung die Partie nie hätte drehen können. Die Schweiz gleicht somit erneut aus und hat das Momentum vor dem abschliessenden Doppel auf ihrer Seite... Doppel: Hingis (WTA 1) / Golubic (WTA 120) vs. Hradecka (WTA 10) / Pliskova (WTA 24) 2:6 / 2:6 Auf der Seite der Schweizerinnen steht mit Martina Hingis die Nummer 1 im Doppelranking. Zusammen mit ihrer indischen Partnerin Sania Mirza hat sie in den letzten zwölf Monaten so gut wie alles gewonnen, doch bei den letzten drei Turnieren gab es jeweils ein unerwartetes, früher Aus. Hingis ist mit ihrem taktischen Gespür, ihrem Volleyspiel und all ihrer Erfahrung im Doppel fast ein Erfolgsgarant und hat in der Vergangenheit gezeigt, dass sie mit den unterschiedlichsten Partnerinnen Erfolg haben und ein Doppel führen kann. An ihrer Seite läuft Viktorija Golubic auf - eine naheliegende Entscheidung aufgrund der Vorgeschichte des Wochenendes. Doch auf der Gegenseite wartet mit Lucie Hradecka eine absolute Weltklasse-Doppelspielerin, welche in dieser Sparte ebenfalls GS-Titel gewinnen konnte und mit Katerina Pliskova eine gefürchtete Hardhitterin an ihrer Seite. Erwartet wird eine enge Partie... Und wieder kommt alles anders. Nach ausgeglichenem Beginn dominieren Hradecka/Pliskova immer deutlicher und spielen auf höchstem Niveau. Krachende Aufschläge, temporeiche Grundschläge und auch am Netz mit hoher Erfolgsquote. Auf der andern Seite findet Martina Hingis nicht zu ihrem gewohnten Rendement und kann dem Spiel nicht wie gewünscht ihren Stempel aufdrücken. Im Gegenteil: Es unterlaufen ihr ungewohnte Fehler, der Aufschlag funktioniert überhaupt nicht. Bis zuletzt hat man den Eindruck, dass die Chemie zwischen Hingis und Golubic stimmt, doch es läuft einfach nicht und auf der anderen Seite spielt das tschechische Duo gross auf. So endet ein Wochenende voller Überraschungen und mit grossen Emotionen schliesslich mit einem 3:2 zu Gunsten des tschechischen Teams. Und wieder mal wurde deutlich, was eigentlich allen bewusst ist: Tennis ist insbesondere auch ein mentales Spiel - Willkommen in der Welt des Tennismentaltrainings ;-)... Comments are closed.
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